Endlos ziehen sich rostige Rohre entlang der Hauptstraße „Vía Auca“ dicht am Boden durch das üppige Grün des Regenwalds. Seit Mitte der 1960er Jahre fördert der US-Ölmulti Texaco (seit 2001 ChevronTexaco) Erdöl in Ecuador.
In Coca, der Hauptstadt der Provinz Orellana, einige Busstunden von der Bohrstation „Auca 3“ entfernt, kämpfen Ventilatoren in einem überfüllten Saal gegen die Tropenschwüle. Einhundert RepräsentantInnen des „Netzwerks zur Verteidigung der Umwelt, der Würde und des Lebens“ (RDNDV) haben an diesem zweiten Wochenende im Oktober bis zu 20 Stunden Busfahrt auf sich genommen. Von überall her sind sie angereist. Kichwa-Indígenas aus der Sierra, VertreterInnen der afro-ecuadorianischen Bevölkerung aus Esmeraldas, dem Nordwesten des Landes und wichtigsten Verlade- und Raffineriezentrum der Erdölindustrie, von der Südprovinz Zamora Chinchipe, an der Grenze zu Peru, und aus Pastaza, der größten von fünf Urwald-Provinzen des Landes. Jugendliche tragen T-Shirts mit Slogans einer Umweltinitiative aus El Guasmo bei Guayaquil wie: „Wir sind eine denkende und fühlende Generation.“
Bei schwül-heißer Luft schallt es an Cocas Bischofssitz aus den Lautsprechern: Wortmeldungen zu Ölverschmutzung, Umweltkonflikten, dem Raubbau an der Natur, zu Auslandsverschuldung und dem bevorstehenden Freihandelsabkommen Ecuadors mit den USA überschlagen sich. VertreterInnen Dutzender Gemeinden von Afro-Ecuadorianern aus Esmeraldas berichten, wie Holzfirmen unaufhörlich Tropenholz aus dem Regenwald karren. Etwa alle 15 Minuten ein voll beladener Truck, erzählen sie. Und wie die Zuchtbecken der Garnelenindustrie das Todesurteil für Ecuadors Mangrovenwälder besiegelt haben. Diese einzigartigen Bäume, botanisch rhizofora harrisonii genannt, sind die majestätischsten der Welt. Bis zu 60 Meter hoch wachsen sie bei San Lorenzo in Esmeraldas in den Himmel, die einzigen Bäume der Erde, die im Salzwasser wurzeln. Sie sind gleichzeitig Lebensgrundlage Tausender „concheras“, Frauen, die in den Sümpfen der Mangrovenwälder Muscheln (conchas) sammeln und diese auf den Märkten feilbieten. Doch 50 Prozent von Ecuadors einst 300.000 Hektar Mangrovenwald gibt es nicht mehr – den Todesstoß versetzt ihnen die Shrimpsindustrie. Seit Jahren rangieren in der Ausfuhrstatistik die Shrimpsexporte nach Erdöl (2,7 Mrd. US-Dollar) noch vor Bananen (1,4 Mrd. Dollar).
Aus der Grenzprovinz zu Peru trägt Yolanda von der Organisation „Vientos de Vida“ (Lebens-Winde) vor, wie Minen- und Forstgesellschaften bereits ihre Augen auf die reichen, unter den bis zu 3.500 Meter hohen Grenzgebirgen lagernden Bodenschätze geworfen haben.
Die Abholzung des Regenwalds im 270.000 Quadratkilometer großen Ecuador hat dramatische Dimensionen angenommen. 600 bis 900 Quadratkilometer werden jährlich vernichtet. Der Großteil der Rodungen, so stimmen verschiedene Studien überein, geht weniger auf Forstaktivitäten zurück als auf Erschließung und Kolonisierung. Waldland wird durch Palmenplantagen ersetzt, Ackerland gewonnen.
Auch die Bergbau- und Erdölindustrie trägt ihren Teil zur Zerstörung des Amazonasregenwalds von Ecuador bei.
„Leidtragende des Wirtschaftskurses der Regierung sind immer dieselben: die bäuerliche und die indigene Bevölkerung. Ihre Lebensgrundlage ist die Natur. Geldgier und Raubbau entziehen ihnen diese Basis. Oft bleibt ihnen nichts anderes übrig als auszuwandern, wo anders hinzuziehen“, sagt Adolfo Maldonado von der Umweltschutzorganisation Acción Ecológica in Quito.
Nicht zufällig wurde für das Treffen des 2001 gegründeten Netzwerks RDNDV die Stadt Coca am Ufer des majestätischen Río Napo gewählt – auf Landkarten erscheint die „Erdölstadt“ vielfach noch als Francisco de Orellana, nach einem spanischen Eroberer benannt. Neben dem Río Marañón in Peru ist der Napo einer der beiden Hauptquellflüsse des Amazonas.
Bei Kilometer 40 der „Vía Auca“ bohrt ein Turm der Firma Hartrade mit kolumbianischen Ingenieuren für Ecuadors staatliches Ölunternehmen Petroproducción 3.000 Meter tief in den Lehmboden des Amazonas. Eine halbe Million Barrel Öl produziert das Land heute täglich und finanziert damit 30% des Staatshaushalts.
Das Öl stammt fast ausschließlich aus den Nordostprovinzen Sucumbíos um die Stadt Nueva Loja, auch Lago Agrio genannt, sowie aus Orellana mit 80.000 EinwohnerInnen, 18.000 davon in Coca. 1542 startete von hier aus Francisco de Orellana, der damalige spanische Gouverneur Guayaquils, entdeckte den Amazonasstrom und erreichte nach fast einjähriger Irrfahrt auf den Fluten des gewaltigen Flusses den Atlantik. Doch außer Verschmutzung von Böden und Gewässern und der Vertreibung der UreinwohnerInnen – was hat der Ölreichtum Ecuador bislang gebracht?
„Von allen Erdöl erzeugenden Ländern kommt Ecuador den Ölmultis am großzügigsten entgegen“, so Alexandra Almeyda, ebenfalls von Acción Ecológica. Die privaten Unternehmen müssen nur einen geringen Teil der Produktion an den Staat abgeben. Eine Vertragsklausel bei einer Firma gewährte dieser sogar 87,5%, dem Staat nur mickrige 12,5%, und selbst das erst ab einer bestimmten Fördermenge.
Mythos Ölsegen: Bis zu 70 Prozent der Staatseinnahmen aus dem Erdöl frisst der Schuldendienst, den Rest das Militär. Eine unter der Regierung von Gustavo Noboa (2000-2002) beschlossene „Novellierung der Erdölpolitik“ grenzte an Größenwahn. Ecuador sollte seine Produktion bis 2005 auf 800.000 Barrel Öl täglich steigern. Dazu bedarf es neuer Pipelines, Raffinerien, Häfen, der Ausweitung der Förderung bis tief hinein in den Amazonas im Süden des Landes. Für den Bau der 500 Kilometer langen, 1,2 Milliarden Dollar teuren und bis zum Pazifik quer über die Anden gezogenen Pipeline „OCP“ (2001-2003) änderte die Regierung Noboa sogar die Gesetzgebung. Bis dahin durfte keine strategische Ressource in Privathand sein. Die „OCP“, eine Hochdruckpipeline für Schweröl, wurde von einem Konsortium aus multinationalen Firmen gebaut. Ein neues Gesetz verpflichtet Polizei und Armee ausdrücklich, den strategischen Ölsektor – und auch Anlagen ausländischer Investoren – zu bewachen und zu „beschützen“.
In Tiputiní, etwa einhundert Kilometer südlich von Coca am Ende der „Vía Auca“ am gleichnamigen Fluss, beginnt der Nationalpark Yasuní. Er ist Ecuadors größtes Naturreservat. Doch obwohl die UNESCO 1989 den Park wegen seiner herausragenden Artenvielfalt zum „Reservat der Biosphäre“ erklärt hat, den höchsten Schutz, den es für eine Naturlandschaft gibt, besitzen bereits ein dutzend Unternehmen Konzessionen zur Erdölausbeutung.
Der Nationalpark ist auch das Kernland der Huaorani. Kautschuksammler und Goldsucher sind schon vor langer Zeit hier eingedrungen.
Der gegenwärtige Präsident Lucio Gutiérrez übernahm ohne Zögern die Erdölpolitik seines Vorgängers Noboa. Die Fördergebiete sind in Blöcke zu jeweils 200.000 Hektar bzw. 2000 km2 eingeteilt. In Block 10 ist der Konzern AGIP aus Italien aktiv. Block 14 gehört der Encana aus Kanada, Block 15 der Occidental Petroleum aus den USA, Block 16 der Repsol-YPF aus Spanien, Block 31 Brasiliens Petrobras. In Block 21 ist ein Joint Venture zwischen dem französischen Konzern Perenco, der österreichischen OMV und der texanischen Burlington Resources tätig. Perenco, in Block 21 Betriebsführer, hält dort 45%, Burlington Resources 37,5%, die OMV 17,5%. Die OMV will jedoch ihre Anteile verkaufen (siehe Kasten S. 15). „Mitteleuropas größter Öl- und Gaskonzern“ (OMV-Eigenwerbung) hält darüber hinaus 25% an einem weiteren Joint Venture in Block 7 (Perenco hat dort 45%, Burlington 30%). Dieser liegt jedoch von Coca flussaufwärts bei Tena, der 5.000-Seelen-Hauptstadt der Provinz Napo.
Im Nationalpark Yasuní liegt ebenfalls die Lagerstätte Ishpingo-Tambococha-Tiputiní (ITT). Ihre Vorräte werden auf ca. eine Milliarde Barrel Öl geschätzt. Es ist eines der größten jemals in Ecuador entdeckten Vorkommen. Für Bohrungen und Erschließungen haben die Eigentümer der Konzessionen bereits Hunderte Kilometer Straßen, Versorgungswege, kilometerlange Netze für weitere seismische Explorationen und Hubschrauberlandeplätze angelegt. Diese Anlagen werden vom Militär bewacht, das selbst BesucherInnen des Nationalparks nicht ohne weiteres passieren lässt. Geplant sind noch Hunderte Kilometer Pipelines und zahllose Auffangbecken.
Vom Volk der Huaorani leben heute gerade noch 1.500 Menschen. „1971 hatten wir 270 Millionen Dollar Auslandsschulden, 47% der Bevölkerung lebten bei Beginn des Erölbooms, 1972, in Armut. Heute schuldet Ecuador 13 Milliarden Dollar, 80% der Bevölkerung leben in Armut. Und auf dem Land nicht in Armut, sondern sogar in absolutem Elend“, erklärt Alexandra Almeyda.
Auch bei der Dimensionierung der OCP-Pipeline hat Ecuador offensichtlich übers Ziel geschossen. Konzipiert wurde die Pipeline für 450.000 Barrel Öl täglich, doch fließen heute gerade 185.000 Barrel des „schwarzen Goldes“ durch die Röhren.
„Petrobras, verpiss dich!“ Am 11. Oktober ziehen nach vier Konferenztagen des Widerstands-Netzwerks 200 Menschen durch die Straßen Cocas. Auf T-Shirts und Transparenten der DemonstrantInnen sind Slogans zu lesen wie „Napo: Erdölfreie Zone“ oder „Gringos, Ihr giert nur nach Öl“. Die Menge skandiert vor dem Magistrat und der Provinzregierung: „Petrobras, ¡De aquí te vas!“ oder „¡Machetes y lanzas van a relucir, si las petroleras no se quieren ir!“ („Macheten und Lanzen werden gespitzt, wenn die Erdölfirmen sich nicht davon machen“).
Der Marsch endet gegen Mittag vor den Petrobras-Büros in Coca. Adolfo Maldonado resümiert den Geist der Organisation. „Kämpft man, kann man gewinnen oder verlieren. Kämpfst du nicht, hast du bereits verloren“.
Über die Erdölförderung im ecuadorianischen Regenwald vergleiche auch die Reportage in SWM 5/03.